TOTGESAGTE LEBEN LÄNGER von Jörg Herz Den Titelspruch habe ich das erste Mal gehört, als die Tratschtanten in unserer (Klein-)Stadt vor einigen Jahren unseren ehemaligen Briefträger totgeredet hatten ("Hast du schon gehört ? Der G. ist letzte Nacht ge- storben..."). Soweit ich weiß lebt der Mann heute noch, und zwar bei bester Gesundheit. Diesen Spruch kann man wohl widerspruchslos auf die Situation des Amiga 1000 übertragen. Nur daß es diesmal keine Kleinstadttratschen sind, die die Todesmeldungen lancieren, sondern gestandene Fachjournalisten in seriösen Computer- zeitschriften. Proben gefällig ? Bitteschön: "Der AMIGA 1000 gehört wohl zum alten Eisen, denn Commodore bezieht ihn bei Entwicklungen nicht mehr mit ein, und er geht nicht nur bei BIG AGNUS leer aus.[...] Amiga 2000A-Besitzern hat man beispielsweise buchstäblich den Boden unter den Füßen weggezogen, gleiches gilt auch für die bedauernswerten A1000- Besitzer. Ihnen wird der Umstieg auf einen kompatibleren AMIGA früher oder später wohl nicht erspart bleiben." Editorial der Kickstart 3/90 "Haben am Ende die recht, die dem 2000er das Schicksal des 1000er prophezeien ?" Editorial AmigaWelt 7/90 Ich war jedenfalls zu Tränen gerührt von den Beerdigungsreden und Bei- leidsbekundungen der Computerpresse. Ich hätte glatt an der Beerdigung des Amiga1000 teilgenommen, und auch einen Kranz niedergelegt (Aufschrift: "Von einem treuen Freak"), leider konnte mir keine der so gut informierten Computerzeitschriften den Ort und die Zeit der Beisetzung mitteilen. Völlig verwirrt schaltete ich schließlich meinen alten 1000er ein und mußte feststellen: Der Amiga 1000 lebt !! Er nahm sogar bereitwillig Nahrung zu sich, ich konnte also noch nicht einmal die geringsten Anzeichen einer Krankheit feststellen. Widerstandslos ließ er sich mit Software füttern, die andere Amiga- Computer wieder ausgespuckt hatten (Zitat: "Chamäleon läuft auf meinem 500er nicht. Probier du's mal aus !"). Ich mußte wohl einer Zeitungsente aufgesessen sein. Nun macht man sich ja so seine Gedanken, wenn gleich mehrere angesehene Computermagazine den gleichen Mist schreiben. Eine Möglichkeit wäre, daß die bloß voneinander abgeschrieben haben. Diese Möglichkeit habe ich aber, zugunsten der Ehre der betreffenden Redakteure wieder verworfen. Eine andere Möglichkeit, die mir weit wahrscheinlicher scheint ist die, daß die Redakteure der diversen Blätter den Amiga1000 gar nicht mehr richtig kennen. Einige dieser Publikationen wurden nämlich erst nach Erscheinen des Amiga 500/2000 gegründet (beispielsweise das Amiga-Magazin oder die Kickstart). Eine andere Möglichkeit ist, daß die Redakteure ihre Erfahrungen mit anderen Computern, deren Bau eingestellt wurde, einfach auf den Amiga1000 übertragen, ohne zu erkennen, daß die Grundvoraus- setzungen völlig andere sind (Beispiel: TI 99/4A oder Sinclair ZX Spectrum). Allerdings hat Commodore bis heute auch nichts unversucht gelassen, um den Amiga 1000 wirklich veraltet erscheinen zu lassen. Das ECS-Chipset sollte nicht für den A1000 verfügbar sein, und der neueste Schlag, nämlich die Ankündigung, der CDTV-Nachrüstsatz werde für alle Amiga, außer dem A1000, zur Verfügung stehen, kündet von einer wenig positiven Einstellung von Commodore zum ersten Sproß seiner Amiga-Baureihe. Commodore macht es allerdings damit den Drittanbietern leicht, mit eigenen Produkten den A1000-Notstand zu beheben. A1000-User, die unbedingt CDTV benutzen wollen, werden sich dann eben keinen Commodore-CDTV-Player kaufen, sondern einen Sony- oder Pioneer- Player, der über den Parallelport gesteuert wird. Diesen widrigen Umständen zum Trotz haben sich doch einige 1000er- Besitzer entschlossen, ihr Gerät zu behalten und es durch ständige Verbesserung vor dem Vorwurf der Veraltung zu schützen. Noch wunderlicher erscheint es in diesem Zusammenhang, daß anscheinend viele A500- oder A2000-Besitzer nach einiger Zeit auf den A1000 um- steigen. Nostalgie oder handfeste praktische Gründe ? Zusätzlich dürften einige A1000 in die neuen Bundesländer gegangen sein, da der A1000, unterstützt durch die oben genannten Presseartikel, im Preis stark gefallen ist, und dadurch zum idealen Einsteigermodell in der Amigafamilie prädestiniert ist. Es kann jedenfalls keine Rede davon sein, daß der Amiga 1000 tot ist. Wer sowas behauptet, der ignoriert sowohl die technischen Gegebenheiten (nur geringe Unterschiede zum A500) als auch die Entwicklung auf dem Hardware-Zubehörmarkt (von dem sich Commodore selbst ausgeschlossen hat) und die Bereitschaft vieler 1000er-User, ihren Computer auch in Zukunft nicht gegen einen A500 oder A2000 zu tauschen. (Mir würde schon das ätzende optische Erscheinungsbild dieser beiden Computer einen solchen Schritt untersagen.) Wenn man den Hardwareanbietern auch in Zukunft klarmachen kann, daß ein Bedarf nach A1000-spezifischer Hardware besteht, kann man der Ent- wicklung gelassen entgegensehen. Wie kann man aber den Meinungs- und Hardwaremachern mitteilen, daß man an Berichten und Produkten für den A1000 interessiert ist ? Man kann Computerzeitschriften mit Leserbriefen und Anfragen zum Thema "1000er" eindecken. Die jährliche Leserumfrage seiner Computerzeitung macht man natürlich mit, weil man bei der Frage nach dem verwendeten Computer "Amiga 1000" ankreuzen kann. In der Sparte "Was würden sie am XY-Magazin ändern ?" schreibt man selbstverständlich: "Mehr Berichte über den A1000". Hardwareherstellern kann man mit Anfragen der Art "Gibt es Ihr Produkt XY auch für meinen Amiga 1000 ?" auf die Nerven gehen. Bei allem "Patriotismus" für den A1000 darf man natürlich nicht vergessen, daß es nur solange "Futter" für den 1000er gibt, wie seine Nachfolge- modelle sich verkaufen lassen. Freuen wir uns also auch über die hohen Verkaufszahlen von A500/2000. ENDE des Artikels