Wirges, 13.11.91 Erfahrungsbericht über die 68030-Prozessorkarte "Golem Turbo" von Jörg Herz Als Grafik- und Raytracing-Freak ist man mit dem Amiga bekanntlich recht gut bedient. Der 68000-Prozessor hat einen guten Datendurchsatz und die im Agnus integrierten Blitter und Copper gehören ebenfalls nicht zu den langsamsten Chips auf dem Markt. Aber die Zeit ist seit dem Erscheinen des A1000 nicht stehengeblieben. Ein Computer mit einer Taktfrequenz von 7,14 MHz ist nicht mehr Stand der Technik, auch wenn man argumentieren kann, daß die Grafik eines 7-MHz-Amiga immer noch schneller ist als die eines 12 MHz-AT (aber auch der ist nicht mehr modern). Was macht also ein Raytracing-Freak, wenn er bei Berechnungszeiten bis zu 28 Stunden langsam die Geduld verliert ? Er sucht nach einer geeigneten Beschleuniger-Karte für seinen Rechner. Als Amiga1000-User hat man da zwar nicht die enorme Auswahl eines A2000- Benutzers, das Angebot reicht aber allemal aus, um alle Abstufungen des Geschwindigkeitsrausches zu durchleben. Die neueste (und schnellste) Variante für den 1000er-Freak ist die Golem- Turbo-Karte der Firma Kupke in Dortmund. Auf der Amiga'91 habe ich mir diese Karte zugelegt. Der Ladenpreis liegt momentan bei 1498,- DM. Auf der Messe konnte man sich das Teil für 1199,- unter den Nagel reißen. Das Äußere Die Optik der extern anzuschließenden Turbo-Karte ist schlicht und unter- scheidet sich kaum von den bekannten Golem-RAM-Erweiterungen. Das stabile Stahlblechgehäuse hat die Ausmaße 22,5 x 5,0 x 10,0 cm und ist exakt in der Amiga-1000-Farbe lackiert. An der Vorderseite besitzt das Teil eine rote LED, die die Betriebsbereitschaft anzeigt. Auf der Rückseite ist ein schwarzer Wippenschalter angebracht. Der Expansionsport ist durchgeführt. An der Unterseite sind 4 kurze Gummifüße angebracht. Anschluß Der Anschluß an den 1000er ist denkbar einfach. Die Abdeckplatte wird vom Expansionsport entfernt, die Box vorsichtig an den Port herangeführt und eingesteckt. Mit der Abdeckplatte sollte man dann den durchgeführten Port verdecken- Fertig ! Innere Werte Das Golem-Turbo-Board enthält einen Motorola 68030-Prozessor und einen arithmetischen Coprozessor 68882. Beide werden mit 16 MHz getaktet. Der Coprozessor kann aber bei Bedarf gegen einen höher taktbaren Chip ausge- tauscht werden. Dann muß lediglich ein Quarz in einen freien Sockel ge- steckt und ein Jumper umgesteckt werden. On Board befinden sich außerdem 2 MByte 32-Bit-RAM (Megabit-Chips). Das Board kann fast stufenlos mit Megabit-Chips und 4Megabit-Chips auf eine maximale Kapazität von 16 MByte aufgerüstet werden. Das RAM wird auto- konfiguriert ab $1000000 (ab Kick1.3) (außerhalb des 16-MByte-Bereichs) und kommt so keiner anderen 16-Bit-Erweiterung in die Quere. Ein ganzer Haufen von Steck-Jumpern befindet sich auf der Karte. Sie haben folgende Funktionen: Ein/Aus-Schalter (bereits angeschlossen), Caching im Chip-Memory (aus), MMU-Schalter (ein), Cachespeicher (ein), RAMChip-Typ (1MBit) sowie zwei Schalter für zukünftige Erweiterungen (?!). In Klammern steht die werkseitige Voreinstellung. Anleitung und Software Der Erweiterung liegt ein 8-seitiges Manual bei, das den Anschluß, die Inbetriebnahme, die Funktion der Jumper und die Funktion des mitge- lieferten Programmes "SetCPU" erläutert. Nicht gerade die Masse, aber durchaus ausreichend. Die Software besteht aus einer autostartenden Diskette mit einigen mehr oder weniger nützlichen Programmen. Unbedingt benötigt wird das Programm "SetCPU". Mit diesem Programm kann man einzelne Features der Turbo-Karte ein- und ausschalten: Kopieren der Kickstart ins 32-Bit-RAM, Datencache, Befehlscache, Burstmodus. Am besten macht sich das Programm in der start- up-sequence der Workbench. Es hat außerdem die angenehme Eigenschaft, den verwendeten Prozessor selbsttätig zu erkennen- es stürzt also !nicht! ab, wenn die Turbo-Karte mal nicht eingeschaltet ist. "CPU-Speed" ist ein Programm zur Messung der Prozessorgeschwindigkeit (dazu später). Das Programm CPU-Install kann von der Workbench aus gestartet werden und führt eine Installation von SetCPU durch (für unbegabte User). Außerdem ist Addmem vorhanden, das den zusätzlichen Speicher unter Kick- start 1.1 und 1.2 einbindet. Inbetriebnahme Die Inbetriebnahme ist genauso einfach wie der Anschluß: Turbokarte ein- schalten, Amiga einschalten - fertig ! Geschwindigkeits- und Praxistest Jetzt komme ich endlich zum eigentlichen Zweck dieses Artikels: Welche Auswirkungen hat die getestete Turbokarte auf die praktische Arbeit mit dem 1000er ? Dazu stelle ich erstmal meine Konfiguration vor: Amiga1000, PAL-Modell 2/8 MByte FastRAM von Roßmöller (Kickstart-Patch) externes Laufwerk von NEC Monitor 1081 Drucker NEC P2200 und besagte Turbokarte Das erste was man bemerkt, wenn man nach der Turbokarte den 1000er ein- schaltet, ist, daß die Checkmelodie für den Soundprozessor (Dü-düdelüdelüt) um mindestens zwei Oktaven tiefer erklingt, bevor die Kickstart-Disk ver- langt wird, außerdem erscheint kurz ein mehr oder weniger wirres Farb- muster auf dem Bildschirm (das ist o.k., sagt das Manual). Nach dem Einlegen meiner (gepatchten) Kickstart1.3 verlangt der Computer wie gewohnt die Workbench. Ich lege also die 1000er-Magazin-Diskette ein und harre der Dinge die da kommen. Das erste, was mir auffällt ist, daß das Intro von Tom Beuke ziemlich zwie- spältig reagiert. Der rote 1000er-Schrifzug am Anfang wirkt ziemlich zer- rissen, dafür rotiert der Vektorball-Schriftzug in sehr flotter und vor allen Dingen !flüssiger! Bewegung um die Erdkugel und mit ihr über den Bildschirm. Das rotierende Gitter in der Schlußsequenz dagegen hinkt hoffnungslos hinter der Prozessorgeschwindigkeit hinterher und scheint aus Verzweiflung darüber auch ab und zu ein paar Pixels zu verlieren. Ansonsten verläuft alles normal. Auf der Workbench selbst ist kaum Be- schleunigung zu spüren, der Mauszeiger ist nicht schneller als sonst, lediglich die Reaktionszeit auf meine Eingaben scheint sich etwas ver- kürzt zu haben. Jetzt will ich's aber wissen: Wie schnell ist dieses Teil eigentlich und was bringt es mir ? Mein erster Test ist ziemlich theoretisch und erstreckt sich auf die beiden bekannten Geschwindigkeitstest Amiga-Performance und Ronin-CPU- Speed. In beiden Fällen wird ein Faktor ermittelt, um den die getestete Konfiguration schneller ist, als ein Standard-Amiga. Amiga-Performance CPU-Faktor: 5.00 Memory-Faktor: 4.55 Betriebssystem-Faktor: 4.55 Fließkommma-Faktor: 33.33 Durchschnittsperformance ohne FPU : 4.70 Durchschnittsperformance mit FPU : 11.86 Ronin CPU-Speed Ronin-Faktor: 6.23 Beide Programme arbeiteten unter folgenden Bedingungen: Kickstart1.3 im 32-Bit-Speicher, Datencache an, Befehlscache an, Burst- Modus an. Folgende Programme waren vorher aktiviert worden: DMouse, ACT-Virenkiller1.1, ClickToFront, NewLook Die Programme beeinflußten das Ergebnis nicht. So, jetzt zur Praxis: Für Spielefreaks ist so eine Turbo-Karte wenig geeignet. Ich habe die Turbokarte mit 30 Spielen getestet, sowohl ältere als auch neue Spiele. (Dazu musste ich einige A500-Besitzer zur Verzweiflung bringen, ich besitze nämlich selbst nur sehr wenig Spiele.) Hier das Ergebnis: Von 30 Spielen liefen nur 15, die restlichen 15 sind irgendwann abgestürzt. Sehr erstaunt war ich, als ich gesehen habe, daß solche Oldies wie Marble Madness oder der FlightSimulatorII problemlos laufen, FlightII ist sogar das einzige Programm im Test, das einen spürbaren Geschwindigkeitsgewinn verzeichnen konnte. Die Reaktionszeiten der Flugzeugsteuerung werden kürzer, die Steuerung reagiert sehr feinfühlig, außerdem ist das Scrolling der Landschaft etwas flüssiger. Alle anderen Spiele, die mit der Turbokarte liefen, verhielten sich ledig- lich so, als sei die Karte gar nicht vorhanden. Folgende Spiele laufen: FlightsimulatorII, Leaderboard, StuntCar-Racer, Powerdrome, Silcworm, Paradroid'90, The Wall, Block Out, Marble Madness, Testdrive, TestdriveII, The Bards Tale, Pirates, SimCity und Elvira. Gelegentlich zeigen sich kleine Mängel in der Grafik oder im Sound, die sind aber durchweg zu verschmerzen. Für Grafiker und Animateure: Als Grafiker kommt man um DeluxePaint nicht herum. Also habe ich mich daran gemacht, herauszufinden, welche Funktionen von DPaint durch die Turbo-Karte beschleunigt werden. Die Füll-Funktionen werden vom Blitter ausgeführt, hier gibt es also keine Beschleunigung. Eine sehr rechenaufwendige Funktion ist dagegen der Perspektive-Modus. Ich habe mir also einen rechteckigen Brush (ca. 75 x 75 Pixels) aus einem Bild herausgegriffen und ihn um 130 Grad um die x-Achse gedreht. Bereits bei der Ausführung der Drehung bemerkt man, daß jetzt alles sehr flüssig von statten geht. Diesen Brush habe ich dann zum Füllen im "Perspektive-Füllmodus" eingesetzt, d.h. ich habe den ganzen Bildschirm perspektivisch gefüllt. Diese Arbeit beansprucht den Prozessor normalerweise ganz enorm. Hier die Zeiten: Bildschirm perspektivisch füllen: 34 Sekunden ohne Turbokarte Bildschirm perspektivisch füllen: 11 Sekunden mit Turbokarte Faktor: 3,1 Eine weitere Geduldsprobe bei DPaintIII ist das Laden von Animationen im AnimOpt5-Format. Die Vorgehensweise des Computers ist dabei in etwa folgende: - Laden eines Bereiches von Diskette - Entpacken und transferieren ins RAM - Laden des nächsten Bereichs - Entpacken und transferieren ins RAM etc. etc. Vor allem das Entpacken der IFF-Animation nimmt zwischen den Disketten- zugriffen ziemlich viel Zeit in Anspruch. Eine Animationsdatei mit einer Länge von 313 kBytes braucht unter normalen Umständen 3 Minuten und 30 Sekunden zum Laden. In dieser Zeit kann man schon mal Kaffee kochen oder sich eine Zigarette anzünden. Mit der Turbokarte verkürzt sich diese Zeit auf 1 Minute und 40 Sekunden. Eine weitere Steigerung ist noch durch Verwendung einer Harddisk zu schaffen, dann dürfte die Animation in null-komma-nichts im Speicher sein. Faktor: 2,1 Bei beiden Messungen befand sich das Kickstart im 32-Bit-RAM, alle Caches und der Burst-Modus waren aktiviert. Als nächstes kommen die Raytracing-Freaks zu ihrem Recht: Verwendet wurde die normale 68000-Version von Reflections, in die Startup- sequence wurde SetCPU eingesetzt, das Kickstart ins 32-Bit-RAM kopiert, alle Caches ein etc. Zur maximalen Geschwindigkeitssteigerung wurde die Mathtrans.library im libs-Ordner durch eine spezielle 68881/2-Library von Fish-Disk 319 ersetzt. Schon im Szenen-Editor "Construct" macht sich der neue Prozessor spürbar bemerkbar. Die Denkpausen von Reflections zur Reorganisation fallen sehr viel kürzer aus. Zum Geschwindigkeitstest habe ich eine komplexe Szene geladen und in der Draufsicht darstellen lassen. Ohne Turbokarte benötigte Reflections 15 Sekunden, bis alle Objekte dar- gestellt waren, mit Turbokarte waren es knapp 5 Sekunden, eine Steigerung um den Faktor 3. Die nächste Prüfung unter Reflections war das raytracen einer Szene mit folgenden Parametern: Auflösung: 352 x 580 HAM, Interlace, Overscan Raytracing-Tiefe: 2 Schatten ein Antialiasing: Stufe 3 Ziellaufwerk: RAM-Disk Berechnungszeiten Grid (Vorberechnung) Beams 68000, 7.14 MHz, Standard-Reflections : 10 min 850 min 68030,68882, 16 MHz, 68881/2-Library, 32-Bit-Kickstart, Caches on, Burstmode: 2 min 233 min Faktor: 3,6 'Was, nur 3,6 mal schneller als ein normaler 1000er ?' werden jetzt einige sagen. Dazu muß ich allerdings anmerken, daß ich keine spezielle 6888x- Version von Reflections besitze ! Der Faktor wurde im Grunde genommen mit einem nicht-optimierten Programm ermittelt. Die einzige Änderung ist die Anpassung der Mathtrans.library an den Coprozessor. Für die Turbo-Version von Reflections müßte ich mir ein Update von Markt&Technik schicken lassen, da ich aber sowieso vorhabe, mir Reflections2 zu holen, lohnt sich das für mich nicht mehr. Wenn die Berechnung mit Beams abgeschlossen ist, liegt ein 24-Bit-Bild vor, das dann noch mit "Show" auf Amiga-Format umgerechnet werden muß. Auch hier ist eine Geschwindigkeitssteigerung zu verzeichnen: Show (Umrechnen von 24-Bit-Format auf HAM-Interlace-Overscan) ohne Farbmischen mit Farbmischen ohne Turbokarte 4 min 4 min 10 sec mit Turbokarte 1 min 35 sec 1 min 37 sec Faktor: 2,5 2,6 Fazit So, jetzt hab' ich das Teil so gut getestet, wie es in den knapp 14 Tagen möglich war. Für leidenschaftliche Spieler, die hoffen, durch eine Turbo- karte noch einen letzten Kick zu kriegen, ist das Teil ganz bestimmt nicht geeignet. An meiner Textverarbeitung (Vizawrite) konnte ich auch keine große Beschleunigung feststellen. Die würde wohl erst zum Tragen kommen, wenn ich umfangreiche Such- und Ersetz-Aktionen durchführen würde (alle "e" in einem Dokument durch "u" ersetzen, aber wer macht schon sowas ?). Mit einer Datenverwaltung hab' ich das ganze noch nicht getestet, ganz einfach, weil ich keine habe, und auch keine brauche. Dafür kann für die Grafik-Freaks und Animations-Bastler reden. Die Arbeit mit dieser Turbokarte bringt wirklich einen enormen Komfort. Bei Reflections ist es beispielsweise möglich, ein Bild von Beams berechnen zu lassen und währenddessen in "Construct" eine neue Szene aufzubauen, und das !ohne! merklichen Geschwindigkeitsverlust. Dazu trägt natürlich auch mein Gesamtspeicher von mittlerweile 4,5 MByte bei (512 K Chipmem, 2 MByte Fast- RAM und 2 MByte 32-Bit-RAM). Die Priorität des jeweiligen Speichers wird dabei vom Amiga ganz automatisch gesetzt: Zuerst kommt der 32-Bit-Speicher, dann das Fast-RAM und zum Schluß das ChipMem. Mein Gesamteindruck ist, daß diese Karte umso schneller wird, je mehr sie beansprucht wird. Man sollte allerdings so nützliche Programme wie BlitCPU (überträgt die Blitter-Aufgaben an den 68030) und die geänderte Mathtrans.library von Fish 319 haben, ansonsten kommt man nicht bei allen Programmen in den Genuß der Geschwindigkeit. Übrigens wird mit dem Be- triebssystem auch das Trackdisk.device ins 32-Bit-RAM gelegt. Die Folge ist ein schnellerer Zugriff auf die Floppies. Wie sich das Teil mit einer SCSI- Festplatte verhält, werde ich demnächst sehen- ich habe mir nämlich die SCSI-State-of-the-Art von Kupke bestellt. Jörg Herz